HELDENLIED VON DER GOLDKASTANIE (1)
Huldigung an meine Heimat Redon, in Bretagne, “Ker vihan, Brud vras” (2)
Mein altes Land ist ein Stück Welt, von Bächen durchzogen,
wo seit vielleicht hundert mal tausend Lenzen Herzen schlagen,
ein Land nicht besser und nicht schlechter als ein anderes,
das aber keinem andern gleicht.
-§-
In grauer Vorzeit betete man zum goldenen Kalb,
zum Hirschen und der Mutter-Göttin,
man ehrte die Goldene Scheibe während der Sonnenwenden,
auf heiligen Hügeln zwischen Treal, Cojoux und Langon. (3)
Die Strahlen entzündeten die kultischen Feuer von Beltain (1)
je nach der magischen Ausrichtung der Menhire
beim Stampfen der Tänze und wilder Beschwörung.
Der behexende Atem Dana's, der schwarzen Jungfrau,
kam aus dem Kessel der Sümpfe und Quellen
und aus dem Schwanken des Schilfs, laut Überlieferung.
Die Druiden gaben noch andere Verse weiter
und andere Suren, seitdem vergessen,
und Lehren über Gesundung durch Mistel, Schöllkraut und Mohn.
-§-
Mein altes Land ist ein Land, wohin das Keltenkreuz
aus Irland in curraghs aus Granit und Häuten gebracht,
von bärtigen Bischöfen leuchtenden Blicks,
Sankt Colomban, Sankt Meen, Sankt Armel, Sankt Seglin, Sankt Conwoion, Sankt Dolay, Sankt Jugon, Sankt Patern,
Sankt Melenn : sie intonierten Gesänge in bretonischer Sprache,
rund um die getauften Steindenkmäler von Monteneuf, (3)
von Peillac, in der Kirche von Sankt Agathe, die schöner als Venus,
bei den Brunnen, Sümpfen und heilenden Quellen.
An Johannis-Feuern, Weihnachtsprozessionen, Ablass-Wallfahrten nahmen Volksmassen teil, die einen neuen Gott verehrten: einen galileischen Herrn, der von den gälischen Inseln kam: aus dem Heiligtum von Tara, aus den Stiftskirchen am Meer: Mona, Kilda, Iona oder Aran.
-§-
Mein altes Land ist ein Land freier Fürsten
und volkstümlicher Königinnen: Arthur und Guenievre,
Merlin, Isolde, Parzifal der Waliser, Lanzelot und Viviane,
Zauberer, Feen oder Helden des Rittertums in Brozeliand;
Waroc'h, Nominoe, Erispoe, Johann von Rieux, Alan Meur,
die Sieger über anmaßende Wikinger und Franken;
Irmgard von Malestroit, die weiße Herrin der Sümpfe,
Alain Fergent, der Herzog, der Klausner im Kloster Redon ward,
Anna von der Bretagne, unsere vielgeliebte Herzogin
mit dem Stundenbuch; Cadoudal, Sol von Grisolles,
die weißen Rebellen ohne Mausoleum und Medaillen,
und diese Bataillone von Rekruten, die für Elsass und Lothringen starben,
Francis und Charles und Lucien,
im Lehmboden der Schützengräben eingegraben;
die geächteten Helden von Breizh Atao mit schrecklichem Schicksal
und ihre Partisanenbrüder von Saint-Marcel und der Schattenarmee.
-§-
Mein altes Land ist ein Land von Pflügern und Mägden,
wo schwere Tiere furchenlang verbunden,
kastrierte Stiere, deren Nacken Geschirr und Joch geglättet,
von Jägern mit Frettchen und Mischlingen,
von Fischern schwarzer Aale im Trichter der
von Rutengängern, die dir die Wassertiefe sagen können,
von Weibern, die das Übel vergehen lassen und den Teufel verjagen,
von Reisigbindern und Zaunpfahl-Spaltern,
von Metaller-Kumpeln der Atlantik-Werften,
der weiblichen Belegschaft für den Kosmetik-Versand,
der Gießer, Dreher, Fräser, Schlosser
für das Citroen-Fließband im bretonischen Chartres.
-§-
Es ist ein Land der Bläser mit großartigen Instrumenten,
das Akkordeon trällert sehnsuchtsvolle,
verlockende Kehrreime, die weiße Blüte wird zum roten Apfel,
bleichertem Zider, blondem Schnaps, ziehn wir alle singend los,
an der Spitze Spielleute!
Bläser Paarweise, Bands mit Dudelsack, Schalmei, Geigen, Klarinetten,
Gilbert, Jakez, Erwann, Jean-Yves, Jacques, Alain …
sie spielen mit der gleichen Freude in ländlichen Kneipen
und auf Tournee in Amerika oder Berlin
und auf der Bühne der Goldkastanie auf der Kirmes Teillouse (1)
Und die Harfe klingt vom Hochwald Brozeliand,
ein Widerhall der edlen Bauern von Trecesson und Comper
und der Dichtung, die in diesem Lande Wurzel schlägt.
-§-
Mein Land singt auch, um seine Wunden zu verwinden,
die grausame Grenze dreier Verwaltungsbezirke
und die wilde Schwäre, Vilaine, zwischen Nantes und seinem schönen Umland;
die Abfahrt der Züge, jeden Sonntag, Bahnhof Redon, den Abschied derer,
die nach Montparnasse verbannt sind und ins Pariser Vorstadtleben,
die Kinder, morgens um sieben vom Schulbus gesammelt,
die Plackerei, in die man eingewilligt für einen Elendslohn,
die Zeitverträge und die Nachtarbeit,
Garten und Hühnerstall, um den nächsten Ersten zu erreichen,
die Jungen mit Urkunden wie die Arbeitslosen auf Arbeitssuche,
die Bauern, die aufgeben müssen, mit ihrem Brachland.
-§-
Mein altes Land ist ein Land mit Sümpfen, Wassergräben, Böschungen, Wassernüssen, Reihern, Kriechtieren zähflüssig,
mit Seewind-Stößen und endlosem Regen,
mit Hochwasser, das überkocht, überschäumt, überflutet, überwältigt,
mit Scharfem Hahnenfuß, mit Kornblumen, Glockenblumen, duftendem Heu,
mit eintönigen Treidelwegen, Schlangenpfaden,
Schleusen-Meistereien, Kalvarienbergen, Waschplätzen,
mit Weißdorn-Hecken, Tannen, Stechginster und Schiefer-Pfählen,
mit Hang-Eichen, knorrigen Kastanien und Apfelwein-Bäumen,
mit Pappeln, Weiden, Holunder, mit Wilder Rose und Stechpalme,
mit Ackerpferden, unbekümmerten Kühen und drallen Puten.
-§-
Es ist ein Land der zungenfertigen Erzähler,
Albert, Eugene, Jean-Luc, Gigi, Prosper, Paul, Burette ••
sie kommen von der Kirmes in Bains, Beganne und Piperiac-la-Galette,
Saint-Seglin, Guemene-Penfao und Grande-Briere,
geile Burschen, ihr Redefluss versiegt niemals,
es ist ein Land von Sängern, die zu Tränen rühren,
Jeannette, Jean-Bernard, Jean-Lou, Charly, Calixe, Matthieu, Pierrig … ,
mit Kindsmord-Geschichten und Trinkliedern,
mit Melodien, die zum Tanz des Reigens von Saint-Vincent einladen,
Polkas teufelswild, wo man die Partnerin wechselt, bis sich der Kopf dreht,
tanzen wir ! tanzen wir zum Klang der Musik,
springen wir zum Klang der Geige!
-§-
Mein altes Land ist ein Land des Glücks und festlichen Tafelns,
wo Weiler und Dörfer, Stadt und Land sich gut vertragen,
da finden zueinander Schnellzüge und Lastkähne,
Fabriken und Hühnerställe, Luxus-Boutiquen und Montagsmarkt;
da spricht man französisch, scherzt in gallo, lernt bretonisch; (4)
da duzen sich, grüßen sich im Vorbeigehn sämtliche Nachbarn,
im Supermarkt oder vor der Kirche erzählt man sich Neustes,
Geschichten von fest-noz, Kirmes, Fußball oder Tomaten-Setzlingen…
Man hört den Rat der Bruderschaften mit Satzung von vor tausend Jahren beraten
über Brotbacken und Banngrund, derweil im Bett aus Ried und Binsen
die Flüsse Arz, Aff, Oust, Vilaine, Brivet und Don heimliche Hochzeit halten.
-§-
Dies alte Land
ist ein Stück Welt, wo Bäche fließen,
Herzen schlagen seit vielleicht hundert mal tausend Lenzen,
träge Schleusen gehn je nach dem Treideln zwischen Brest und Nantes
und Glockenspiel an Festtagen des Lebens es besingt,
MEIN ALTES LAND !
Patrick ARDUEN
Aus der Sammlung „Le Plantaire celtique“
Übersetzung von Markus Lakebrink
(1) Die „Goldkastanie“, la „Bogue d’Or“ ist ein großes Volksfestival, das jedes Jahr im Kreis Redon, in Hoch-Bretagne, statt findet. Es dauert fünfzehn Tage, im Oktober, und beendet sich mit dem Konkurs von traditionelle Singer, Erzähler, und Musikante die eine „Bogue d’Or“ wannen hoffen.
Die Kirmes Teillouse bringt auch am Ende des Monats die Manege, Straßenspiele und das Verkauf von gegrillte Kastanien, Dann ist es Allerheiligen, die ehemalige keltische Fest von „Beltain“.
Die „bogue“ ist das von Nageln bedeckte Umschlag des Kastanie.
(2) „Ker vihan, brud vras“ ist das bretonische Motto der Stadt Redon, und bedeutet „Kleine Stadt, große Berühmtheit“ .
(3) Es sind kleine Dorfe nah von Redon, wo mehrere Feldern von Megalithen noch sichtbar sind.
(4) Die Sprache „gallo“ ist eine romanische Ursprache die im östlichen Teil der Bretagne noch gesprochen ist, und die Breton ist die keltische Sprache, älter als Französisch, die in der West-Bretagne sehr gesprochen war, und in die Sonderschüle „Diwan“, oder „Div-Yezh“ u. „Dihun“ gelernt sind.